Die Gartenstadt im Nationalsozialismus

Der Nationalsozialismus hielt in Hellerau schnell Einzug, angefangen bei den großen Wahlsiegen für die NSDAP oder dem ideologisch überzeugten Bürgermeister. Die Gartenstadt wurde zu einem Musterbeispiel des NS-Siedlungsbaus umgedeutet. Doch Hellerau blieb nicht das Idyll im Grünen. Mit dem Bau des Flughafens im nahegelegenen Klotzsche und der Umwandlung des Festspielhausgeländes in eine Polizeischule gewann das Militär die Oberhand, was den eigentlich kulturell geprägten Ort stark veränderte. Trotz ihrer Ursprünge in der Lebensreformbewegung war die Gartenstadt Teil eines weit reichenden, schon länger bestehenden Netzwerkes von völkischen Kulturreformern, Rassezüchtern und antisemitischen Intellektuellen. 

Machtübernahme in Hellerau

Die NSDAP konnte im ehemals „roten Sachsen“ früh Fuß fassen. Nachdem sich schon ab 1921 die ersten Ortsgruppen in Westsachsen gegründet hatten, schossen auch Vereine und Verbände mit antisemitischen Ansichten wie Pilze aus dem Boden. Führerfiguren wie Martin Mutschmann etablierten sich schnell, sodass die Nationalsozialisten spätestens ab 1932 große Wahlsiege auch in der Gartenstadt verzeichneten. Der Bürgermeister von Hellerau Reinhard Roch war ein überzeugter Nationalsozialist und setzte Aktionen und Gesetze in der Gemeinde sofort um. 

Hellerau als Vorbild

Die nationalsozialistische Presse beschrieb bereits 1934 Hellerau als lebendes Modell, um Deutschland in einen blühenden Garten zu verwandeln, so wurde die ursprünglich nach den sozialreformerischen Idealen der Lebensreformbewegung errichtete Gartenstadt zu einem Musterbeispiel des NS-Siedlungsbaus umgedeutet. 1.-Mai- und Marktfeste und andere Feierlichkeiten des nationalsozialistischen Festkalenders sollten die Volksgemeinschaft stärken, außerdem fanden gesellige Abende in der Waldschänke statt. Doch die Situation der Bewohnerinnen und Bewohner änderte sich spätestens, als das Militär immer deutlicher in Erscheinung trat und den NS-Vernichtungskrieg im Osten vorbereitete. 1935 wurde im nahegelegenen Klotzsche der neue Flughafen errichtet, 1938 ließ das Reichsinnenministerium auf dem Gelände des Festspielhauses eine Kaserne errichten, in die eine Polizeischule einzog.

Zwischen „Neuer Zeit“ und Rüstungsproduktion

Die Deutschen Werkstätten fertigten nun vorrangig Holzbaracken und Flugzeugteile, waren für die Innenausstattung von Verwaltungsbauten von Heer- und Luftwaffe zuständig und koordinierten Rüstungsaufträge. Ihr eigentliches Geschäft, der Fertighausbau und die Möbelproduktion, trat in den Hintergrund. Das von Bruno Paul 1935 entworfene Möbelprogramm „Die wachsende Wohnung“ wurde jedoch nach wie vor in Hellerau produziert – sogar bis weit nach Kriegsende. 

Akteure in der Gartenstadt

Die Strukturen des NS-Staates mit seinen oft nicht klar abzugrenzenden Einflussbereichen der miteinander konkurrierenden Institutionen spiegelten sich auch auf lokaler Ebene wider. Unterschiedliche Akteure versuchten ihre Interessen gegeneinander durchzusetzen – etwa die einzelnen Gruppierungen der NSDAP, das Wirtschafts- und Finanzministerium, das hinter der Gartenstadtgesellschaft stand, die Gemeinde, aber auch Einzelakteure wie Karl Schmidt, der Bürgermeister und viele andere. Oft hatte das Militär mit seiner zunehmenden Präsenz das letzte Wort. Die Gartenstadt war Teil eines weit reichenden, schon länger bestehenden Netzwerkes von völkischen Kulturreformern, Rassezüchtern und antisemitischen Intellektuellen. Der umtriebige Inhaber des Hakenkreuz-Verlags Bruno Tanzmann hatte beispielsweise bereits in den 20er-Jahren völkisches Gedankengut verbreitet. Innerhalb der Lebensreformbewegung gab es zudem Strömungen, die mit Forderungen nach einer naturgemäßen Lebens- und Denkweise den Ideen der Nationalsozialisten sehr nahestanden. 

Die Förderung durch den sich allmählich etablierenden NS-Staat war nur den „Volksgenossen“ vorbehalten, wer seinen Idealen nicht entsprachen, wurde drangsaliert, verleumdet, verhaftet oder gar ermordet. Das betraf nicht nur Organisationen und Vereine, die rasch gleichgeschaltet oder verboten wurden, sondern auch die politischen Gegner der NSDAP wie Kommunisten und Sozialdemokraten. Besonders betroffen waren jene, die als minderwertig deklariert wurden, weil sie durch das Raster der NS-Rassegesetze fielen. So wurden z. B. die Mietverträge der jüdischen Familien gekündigt und Standesbeamte mussten Ahnenforschung betreiben. Denunziationen, die Duldung der Verhältnisse und aktive Zustimmung waren auch in der einstigen Idylle und dem Ort des vergangenen Aufbruchs an der Tagesordnung.