Leben in Hellerau

Schon früh entstanden in Hellerau zahlreiche Vereine, die den Ideen der Lebensreformbewegung nahestanden, u. a. eine Interessenvertretung der Bewohner gegenüber der Gartenstadtgesellschaft. Ebenso wichtig wie die organisatorische Verwaltung war die Sicherung des alltäglichen Bedarfs, die seit dem Frühjahr 1911 bestand.

Die Gartenstadt Hellerau war ganz bewusst von Anfang an auch ein Ort für pädagogische Projekte. Die Bildungsanstalt des Genfer Rhythmikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze war dabei von ganz besonderer Bedeutung, daneben wurden aber noch weitere pädagogische Teilbereiche gefördert, z. B. die handwerklich-kunstgewerbliche und die reformpädagogische Erziehung.

Reges Vereinsleben

Schon früh entstanden in Hellerau zahlreiche Vereine, die den Ideen der Lebensreformbewegung nahestanden. Bereits 1910 begann der Verein für Rat und Tat unter dem Vorsitz des aus Wien stammenden Schriftstellers Richard Plattensteiner, die ersten Bewohner von Hellerau bei alltäglichen Problemen zu beraten. Im November 1911 gründete der Ingenieur Martin Zollemann den Verein Bürgerschaft Hellerau, der bereits einen Monat später 145 Mitglieder zählte. Er vertrat die Interessen der größtenteils unter vierzig Jahre alten Gartenstadtbewohner gegenüber der Gartenstadtgesellschaft. Daneben gab es Konzerte, Weihnachts-, Faschings- und Kinderfeiern sowie wissenschaftliche Vorträge. Außerdem entstanden etliche gemeinnützige Vereine, z. B. ein Frauenverein, ein Männergesangsverein, ein Turnverein und der Fußballverein SC Hellerau.

Versorgungssicherheit

Ebenso wichtig wie die organisatorische Verwaltung des Gemeindelebens war für die ersten Bewohner von Hellerau die Sicherung des alltäglichen Bedarfs. Seit dem Frühjahr 1911 fanden sich auf dem Markt ein Bäcker, ein Friseursalon, eine Buch- und Papierwarenhandlung, ein Milchgeschäft sowie ein Grünwarengeschäft. Bis zum 1. Juni kamen auf der Ladenseite des Marktes eine Fleischerei, ein Kolonialwaren- und Gemüsehandel sowie ein Schuhgeschäft hinzu.

Umfassende künstlerische und humanistische Erziehung

Für Karl Schmidt bestand die zentrale Idee der Gartenstadt in einer Einheit von Wohnen und Arbeiten, Kultur und Bildung. Deshalb war die Gartenstadt Hellerau ganz bewusst von Anfang an auch ein Ort für pädagogische Projekte. Die Bildungsanstalt des Genfer Rhythmikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze war dabei von ganz besonderer Bedeutung, daneben wurden aber noch weitere pädagogische Teilbereiche gefördert:

1. Förderung der handwerklich-kunstgewerblichen Erziehung durch

  • die von 1907/09 bis 1919 bestehende firmeneigene Lehrwerkstatt der Deutschen Werkstätten mit angeschlossener Fachschule sowie durch die von 1918 bis 1926 bestehende Handwerkergemeinde Hellerau.

2. Förderung der rhythmisch-gymnastischen Erziehung durch

  • die von 1910/11 bis 1914 bestehende Bildungsanstalt Jaques-Dalcroze,
  • die von 1914 bis 1918 von Kurt Böckmann geleitete Neue Schule für angewandte Rhythmik Hellerau,
  • die von 1919 bis 1923 bestehende Schule für Rhythmik, Musik und Körperbildung, die von ehemaligen Schülerinnen und Schülern Dalcrozes geleitet wurde,
  • die von 1931 bis 1952 bestehende Gymnastikschule Hellerau von Dora Menzler und Hildegard Marsmann.

3. Förderung der humanistisch gesinnten reformpädagogischen Erziehung durch

  • die 1912 eröffnete Hauslehrerschule,
  • die seit 1913 bestehende private Höhere Schule des Marinepfarrers a. D. Winfried Koehler und der Baronin Anna von Münchhausen,
  • die im Januar 1914 eröffnete Volksschule Hellerau, die in den Zwanzigerjahren als reformpädagogische Versuchsschule Hellerau deutschlandweit Beachtung erlangte,
  • die von 1920 bis 1925 bestehende reformpädagogische Neue Schule Hellerau,
  • die von 1921 bis 1924 bestehende internationale Freie Schule Hellerau, die vom schottischen Reformpädagogen Alexander Sutherland Neill geleitet wurde und die Anfänge seiner weltberühmten Internatsschule „Summerhill“ in Südengland darstellt.

Neben diesen pädagogischen Projekten gab es noch zahlreiche weitere Schulversuche, die zumeist Mitte der Zwanzigerjahre entstanden und nur wenige Jahre überdauerten.